KI als Werkzeug für kreativen Ausdruck

Was wäre, wenn du generative KI nicht vor allem als Bedrohung für Kreative ansehen würdest, sondern auch als ein mächtiges neues Werkzeug für kreativen Ausdruck?

Versteh mich bitte nicht falsch: Ich kenne die Sorgen und die Kritik rund um KI sehr gut. Schau dir nur das Schlagwort „Kritik“ auf dieser Seite an. Es ist aus meiner Sicht wichtig, diese Diskussionen als legitim anzuerkennen und sie zu dokumentieren: AI nimmt Arbeitsplätze weg. Sie kann fade und seelenlose Inhalte produzieren. Sie lernt ihre Fähigkeiten, indem sie riesige Mengen menschlicher Werke verarbeitet, ohne angemessene Vergütung oder Anerkennung. Sie verbraucht wertvolle Ressourcen. Und es werden gerade atemberaubende Geldsummen in sie investiert.

All das sind berechtigte Kritikpunkte.

Aber was, wenn das nur ein Teil der Wahrheit ist? Was, wenn du generative AI auch als ein neues Element deines kreativen Werkzeugkastens ansehen könntest? Was, wenn du sie als die heutige Variante anderer Revolutionen wie dem Synthesizer, der Digitalkamera oder von Photoshop betrachtest?

Man kann meiner Meinung nach argumentieren, dass KI auch Kreativität fördern kann, dass sie auch Menschen befähigt, neue Ausdrucksformen zu finden.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich die richtige Person bin, um diesen Aspekt zu erklären.

Aber im folgenden Text will ich es versuchen.

Berechtigte Kritik

Die hitzige Diskussion rund um KI entspringt oft einer Furcht um die Zukunft der kreativen Arbeit.

Da ist die „Effizienzfalle“: die Angst, dass Kunden den zeitaufwändigen kreativen Prozess nicht mehr wertschätzen. Stattdessen erwarten sie sofortige Ergebnisse für einen Bruchteil der Kosten. Das habe ich selbst erlebt. In diesen Fällen wird KI nicht als Werkzeug zur Verbesserung deiner Inhalte gesehen, obwohl das auch möglich ist: Mein Lieblingsbeispiel ist, wie mir Deep Research Tools helfen, nützliche Fakten, Zahlen, Einblicke und Zitate für die Long-form Inhalte zu finden, die ich oft schreibe. Stattdessen ist KI vor allem ein Beschleuniger, um mehr Inhalte zu liefern und das schneller, billiger.

Das führt direkt zur Frage der Arbeitsplatzsicherheit: Werden wir durch Software ersetzt? Werden in unserer Branche nur noch wenige Menschen Geld verdienen können, deren neuer Job es nun ist, KI-Manager zu sein anstatt Content Creator?

Dann ist da die Kritik am Output selbst. Wir sehen es überall: KI-generierter Text, der sich hohl anfühlt, Bilder, die man schnell wieder vergisst, und Videos, die einfach nur langweilig und immer wieder gleich sind. Wenn KI ohne professionelle Fähigkeiten eingesetzt wird, kann sie absolut zu solchem Einheitsbrei führen. Sie produziert dann Inhalte, die buchstäblich dem Durchschnitt ihres Trainingsmaterials entspricht.

Wir dürfen auch ein grundlegende ethische Dilemma nicht ignorieren: Diese mächtigen Werkzeuge sind möglich, weil sie die kollektive kreative Leistung von praktisch jeder Person verarbeitet haben, die jemals etwas online gepostet hat. In der Regel geschah dies ohne Erlaubnis oder Bezahlung der ursprünglichen Urheber.

Ich möchte sicherstellen, dass du mich richtig verstehst. Ich bin kein KI-Verteidiger. Ich bin nicht einmal ein KI-Optimist.

Aber in meinen über 50 Lebensjahren habe ich mehr als eine radikale Veränderung miterlebt. Und wenn etwas Neues aufkommt wie ein Heimcomputer (was für ein altmodischer Begriff!), ein Webbrowser oder ein Smartphone, frage ich mich: Was ermöglicht dieses neue Ding, das vorher nicht möglich war? Was kann ich damit tun, was ich so bislang nicht konnte?

Der Grund für diese Denkweise ist wahrscheinlich meine innere Dualität. Einerseits sehe ich mich als kreativen Menschen. Seit über 30 Jahren verdiene ich immerhin meinen Lebensunterhalt mit dem Schreiben und anderen Formen der „Content Creation“. Andererseits bin ich auch ein kleiner Nerd.

Eine bekannte Story?

Der Nerd in mir erinnert sich lebhaft an die Skepsis und den Widerstand bei früheren technologischen Umbrüchen. Als Gen X-er, der während der Mikrocomputer-Revolution aufgewachsen ist, habe ich das schon mehrmals erlebt. Als digitale Illustrationen aufkamen, war eine häufige abfällige Bemerkung: „Oh, das hat der Computer gezeichnet, nicht du.“ Leute, die mit dem eigentlichen Prozess nicht vertraut waren, verstanden nicht, dass ein Grafiktablett und Software nur Werkzeuge sind, wie ein Pinsel oder ein Stift. Es erforderten weiterhin Können, Übung und eine künstlerische Vision. Aber weil das Ergebnis auf einem Bildschirm statt auf einer Leinwand war, galt es als eine minderwertige Kunstform.

Oder denk an Synthesizer in der Musik, digitale Animation, Photoshop.

Eine ähnliche Skepsis richtete sich in den Anfängen auch gegen die Fotografie. Nicht, dass ich das miterlebt hätte. Aber man kann das ja bestens nachlesen. Sie wurde als ein rein mechanischer Prozess angesehen, nicht als „wahre“ Kunstform. Manche Leute sehen das auch heute noch so.

Immer wieder wurde einer neuen Technologie vorgeworfen, eine Abkürzung, ein Trick, ein seelenloser Ersatz für „echte“ Kunst zu sein. Manche argumentieren heute noch, dass es keine echte Kunst ist, wenn das Werkzeug die Hürde für den Einstieg senkt.

Und jedes Mal, haben finde kreative Menschen nach dem anfänglichen Widerstand herausgefunden, wie sie diese Werkzeuge nutzen können, um Dinge zu tun, die vorher unvorstellbar waren. Heute sind sie etabliert.

Der aktuelle Widerstand gegen KI fühlt sich (zumindest teilweise) wie das nächste Kapitel in dieser Story an. Ein Kapitel, in dem unsere Definitionen von Kunst und Kreativität herausgefordert und letztendlich erweitert werden.

Du könntest denken: „Nein, nein, dieses Mal ist es anders!“

Aber ist es das?

Die Handschrift einer kreativen Person

Das bringt mich zum Kern der Sache: KI ist ein Instrument, nicht der Musiker. Um im musikalischen Bild zu bleiben, denk an den Synthesizer: Er kann alle möglichen Klänge erzeugen, aber es braucht einen Menschen, um ein Lied zu komponieren. Ganz ähnlich ist es auch mit generativer AI: Die wahre „Magie“ liegt im Geschmack, im Wissen und im Können der Person, die sie benutzt.

Jeder kann ein paar Wörter in einen Prompt tippen und ein Ergebnis erhalten. Manchmal und mit ein bisschen Glück produziert das sogar etwas überraschend Gutes. Aber ein professioneller Kreativer weiß, warum es gut ist. Das liegt an der persönlichen Erfahrung, um in einem ersten Entwurf das Potenzial zu entdecken, etwas weiterzuentwickeln und zu verfeinern und die Kunst, die endgültige Entscheidung zu treffen. Ein Profi versteht Dinge wie Storytelling, Komposition, Farbtheorie oder den Rhythmus eines gut formulierten Satzes.

Hier versteckt sich die eigentliche Arbeit. Sie liegt nicht im ersten Prompt, sondern in den Dutzenden von Folge-Prompts, der Bearbeitung, der Auswahl und der Zusammenführen von KI-generierten Elementen in ein stimmiges, überzeugendes Ganzes. Ohne die Handschrift des Kreativen bleibt KI-generierter Inhalt meist ein roher, unfertiger Output. Mit ihr kann er Teil von etwas wirklich Besonderem werden.

Und wo versteckt sich die eigentliche Arbeit noch? Im kreativen Prozess, der diesen ganzen Vorgang anstößt. Es dreht sich alles um die Idee, die Vision, die Vorstellungskraft.

Es dreht sich um Kreativität.

Der kreative Funke des Überraschenden

Hier wird es interessant und hier unterscheidet sich generative KI sehr von einem Werkzeug wie Photoshop. Ein digitaler Pinsel in Photoshop ist deterministisch: Er tut genau das, was du ihm sagst, jedes Mal. Generative KI ist das nicht. Sie ist nicht-deterministisch, was eine technische Ausdrucksweise dafür ist, dass sie ein Element des Zufalls enthält. Du kannst ihr zweimal denselben Prompt geben und zwei verschiedene Ergebnisse erhalten.

Ich sage gerne, dass die Grenze zwischen dem, was mit einem bestimmten KI-Tool möglich ist und was nicht, keine klare Linie ist. Diese Grenze verläuft eher wie ein Fraktal: scheinbar endlos komplex und immer wieder überraschend.

Solche Unvorhersehbarkeit hat mich früher frustriert. Kreativ ausgedrückt: Als ich jung war, habe ich lieber gezeichnet als gemalt, weil ich wohl das Gefühl der Kontrolle bevorzugt habe. Ich mochte es nie, wie Farbe auf überraschende Art verlaufen und sich miteinander vermischen kann. Ich wusste, was ich mit dem Pinsel tun wollte, aber ich hatte nicht die Fähigkeit, es zu erreichen.

Seitdem bin ich ein bisschen lockerer geworden und habe gelernt Überraschungen ein wenig mehr anzunehmen.

In diesem Sinne: Was, wenn die Unvorhersehbarkeit der KI kein Fehler ist? Was, wenn sie sogar eine einzigartige Eigenschaft mit viel Potenzial ist?

Die Arbeit mit KI kann schließlich wie die Zusammenarbeit mit einem unberechenbaren kreativen Partner wirken. Du leitest ihn an, aber du musst auch offen für seine überraschenden Vorschläge sein. Manchmal missversteht er dich auf eine Weise, die eine neue und vielleicht bessere Idee auslöst.

Dieses Hin und Her, dieser Wechsel zwischen Kontrolle und Überraschung, kann dich aus deinen kreativen Gewohnheiten herausholen. Er kann dich auf Wege führen, die du alleine vielleicht nicht entdeckt hättest. In diesen „glücklichen Zufällen“ lässt sich kreativer Ausdruck finden.

Außerdem kannst du mit KI sehr schnell experimentieren (oder wie der Nerd in mir sagen würde: „iterieren“). Besonders KI-Bildgeneratoren können dafür großartig sein.

Ich habe gelernt: Je spezifischer deine Idee ist, desto schwieriger ist es, mit den heutigen KI-Tools Ergebnisse zu erzielen. Es ist nicht unmöglich, aber es erfordert Geschick und Geduld.

Zu anderen Zeiten nutze ich dieses „Problem“ aktiv: Ich formuliere einen Prompt absichtlich vage, um zu sehen, was passiert. Dann ist es eher wie eine Brainstorming-Sitzung. Ich verwerfe die Ergebnisse vielleicht. Ich fange von vorne an. Oder es ist etwas dabei, das ich ausbauen kann.

Mit anderen Worten: Es hängt von der Situation und dem Ziel ab.

Ein persönliches Beispiel

Um das alles aus dem Abstrakten zu holen, möchte ich dir ein persönliches Beispiel geben: diese Website, der Smart Content Report. Kurz gesagt würde es sie ohne KI nicht geben. Es ist ein Leidenschaftsprojekt. Ich verdiene damit (noch) keinen Cent. Aber mit Hilfe von KI kann ich Artikel zusammenfassen, um auf dem Laufenden zu bleiben, bekomme Hilfe beim Entwerfen meiner eigenen Texte und generiere Illustrationen.

Am wichtigsten ist dabei, dass ich recht problemlos auf Deutsch und Englisch publizieren kann. Als deutscher Muttersprachler, der seit über einem Jahrzehnt in den USA lebt, ist mein Englisch anständig, aber nicht auf einem professionellen Level. KI hilft mir, diese Hürde zu überwinden. Sie hat daruch ein Projekt ermöglicht, das sonst aufgrund von Zeit- und Ressourcenbeschränkungen unmöglich wäre.

Der Smart Content Report hat sich für mich als sehr nützlich erwiesen. Und vielleicht finden ihn auch andere Leute nützlich. Das wäre jedenfalls meine Hoffnung.

Um dir ein noch spezifischeres Beispiel zu geben: Dieses Editorial hier habe ich in Zusammenarbeit mit Gemini geschrieben.

Ich habe mich zuerst selbst dabei aufgenommen, während ich über das allgemeine Thema gesprochen habe und die Punkte, die ich erwähnen wollte. Ich habe KI genutzt, um diese Aufnahme zu transkribieren (lokal auf meinem Computer mit MacWhisper).

Dann habe ich das Transkript an Gemini gegeben, um eine Gliederung daraus zu erstellen. Nachdem ich dies und das korrigiert hatte, begann das Schreiben: Die KI gab mir den ersten Entwurf eines Abschnitts, ich habe den Text oft stark bearbeitet oder komplett neu geschrieben. Ich habe sie um Feedback gebeten und entschieden, ob ich es einarbeiten wollte oder nicht.

Und dann gingen wir zum nächsten Teil über, bis wir fertig waren.

Dieses Editorial trägt meinen Namen, weil ich es als mein eigenes Werk ansehe. Ich hatte Hilfe von einer KI. Aber ich war derjenige, der das Sagen hatte. Das sind meine Gedanken. Das ist meine Perspektive.

Es ist mein kreativer Ausdruck.

Schlusswort

Ist generative KI also eine Bedrohung für die Kreativität? Ja, das kann sie sein. Wenn wir zulassen, dass sie Können durch Geschwindigkeit und Geschmack durch Durchschnitt ersetzt, dann sind die oben genannten Befürchtungen und Kritikpunkte berechtigt. Es scheint zudem noch schwieriger zu werden, seinen Lebensunterhalt mit kreativer Arbeit zu verdienen.

Aber hoffentlich konnte ich meinen Standpunkt klarmachen: Es gibt zugleich eine andere Sichtweise. KI kann auch ein komplexes, mächtiges und faszinierendes neues Werkzeug sein.

Und wenn sich ein solches Werkzeug in den Händen eines erfahrenen Kreativen mit Vision, Stil und Erfahrung findet, kann es seine eigene Kreativität erweitern. Es kann neue Möglichkeiten erschließen, unerwartete Ideen anstoßen und Projekte ermöglichen, die vorher unmöglich erschienen.

Mehr zum Thema:

Bleib up-to-date:

Neu vom Autor dieser Website: ChatGPT-Kompass für Marketing Content Creation

Der aktuelle und umfassende Überblick für Marketing-Profis (2. Ausgabe, September 2025)

Der KI-Umbruch im Marketing ist in vollem Gange und ChatGPT steht als Plattform Nr. 1 im Zentrum. Aber wie behältst du den Überblick bei all den neuen Funktionen und Möglichkeiten? Wie setzt du ChatGPT wirklichgewinnbringend für deine Arbeit ein?

Der „ChatGPT-Kompass“ liefert dir einen fundierten, aktuellen und umfassenden Überblick über ChatGPT und seine Anwendungsmöglichkeiten im Marketing.

Mehr Informationen